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Beitrag vom 05.09.2007
Drei Fotografinnen. Eine Dokumentation von Antonia Lerch
Marietta Harder
In den 30ern waren sie außergewöhnliche Künstlerinnen: Ilse Bing, Grete Stern, Ellen Auerbach. Und wie sieht ihr Leben 60 Jahre später aus, welche Erinnerungen haben sie an die Vergangenheit?
Antonia Lerch, Filmemacherin aus Berlin, stellte sich diese Fragen und dokumentiert in ihren drei Filmen die Geschichte der jüdischen Fotografinnen, wobei sie nur die Künstlerinnen selbst zu Wort kommen lässt. Alle drei begannen eine Karriere in Deutschland, mussten aus der Heimat fliehen und arbeiteten im Ausland erfolgreich weiter. Welche Erfahrungen sie dabei machten und welche Ziele sie verfolgten, schildert jede von ihnen in einem 55minütigen Portrait.
Ilse Bing, 1899-1998
"Ich bin nicht Fotografin geworden, sondern ich war es einfach. Ich wusste, das ist das Richtige, das ist mein Weg", beschreibt Ilse Bing 1992 den Beginn ihrer Laufbahn als Künstlerin und lässt die ZuschauerInnen an ihrer immer noch spürbaren Begeisterung teilhaben. Voller Stolz und mit Eigenwillen zeigt sie eine Auswahl ihrer Werke, kann sich an fast jede Jahreszahl erinnern und erzählt zu vielen Aufnahmen deren Entstehungsgeschichte: So entstand unter anderem das Foto "Drei Männer an der Seine", weil Ilse Bing genau in dem Moment fotografierte, als der fünfte hinzukam und die Komposition perfekt machte. "Ich war immer bereit, ich hatte immer meine Kamera dabei."
Im Hintergrund ist Klaviermusik zu hören, gespielt von ihrem verstorbenen Ehemann Konrad Wolff. So macht bereits der Beginn des ersten Filmportraits neugierig auf das Leben der um 1900 geborenen Jüdinnen.
Als Avantgarde-Künstlerin der 20er und 30er Jahre gehört Ilse Bing mit ihren Leica-Aufnahmen zu den experimentierfreudigen und bedeutendsten Fotografinnen der klassischen Periode. Das Besondere ihrer Arbeiten zeichnete sich nicht nur durch den Gebrauch der Kleinbildkamera aus, auch ihre Nachtaufnahmen und ungewöhnlichen Perspektiven, der stets individuelle Blick waren damals außergewöhnlich. Genau wie der Wille, diesem Beruf nachzugehen: "In einer Blitzsekunde entschied ich mich, ich lasse die akademische Karriere fallen und bleibe bei der Fotografie. Das war an sich nicht leicht, denn auf Fotografinnen hat man nur so von oben runter gesehen." Dennoch steht für Ilse Bing 1929 fest, dass ihre Zukunft nicht in dem Studium der Mathematik und Kunstgeschichte liegt.
Zunächst arbeitet sie für einige Illustrierte und emigriert 1930 nach Paris, wo sie "vom ersten Augenblick an fühlte, wie die Wurzeln von meinen Füßen in das Pflaster gehen." Hier folgen in den kommenden Jahren zahlreiche Aufträge und Ilse Bing stellt ihre Werke aus, in denen sie unter anderem die Stadt, Musik und Tanz thematisiert. "Es sind stets Aufnahmen mit einer sehr individuellen Sicht auf ihre Umgebung ... extreme Aufsichten, interessante Nahansichten und ungewöhnliche Ausschnitte" zeichnen ihre Arbeit aus, heißt es in einem Ankündigungstext zur Ausstellung von Ilse Bing.
In ihren eigenen Worten berichtet die Avantgarde-Künstlerin aus der Vergangenheit und reist mit leuchtenden Augen noch einmal zurück. Die Kamera beobachtet sie dabei und ohne Kommentare von außen tauchen die ZuschauerInnen ein in das nicht immer einfache Leben der (zu dem Zeitpunkt) 93jährigen.
Grete Stern, 1904-1999
Auch sie beginnt mit einem Studium und gibt es einige Jahre später auf, um sich der Fotografie zu widmen: "...fand ich in der Fotografie eine Möglichkeit, das auszudrücken, was ich gerne zeigen wollte." Und um dies mit Erfolg zu tun, andere Menschen an ihrer Sicht teilhaben zu lassen, lernt Grete Stern 1927/28 in dem Berliner Studio von Walter Peterhans als Privatschülerin. "Ich arbeitete ein Jahr mit Peterhans, dann erschien eine zweite Schülerin, Ellen Rosenberg, mit der ich später zusammen ein Atelier machte.", erinnert sich Grete Stern in dem Filmporträt.
Mit den Arbeiten im Atelier "ringl + pit", einem Studio für Reklamefotografie, werden die beiden Avantgarde-Künstlerinnen bekannt und gewinnen unter den Spitznamen aus Kindertagen internationale Auszeichnungen. Noch 1992 berichtet Grete Stern stolz: "So ein Bild hieß dann Studio ringl + pit, fotografiert von Grete Stern oder von Ellen Rosenberg, oder von beiden zusammen. (...) Wir haben uns wohl gefühlt und haben mit sehr viel Genuss gearbeitet." Dies erkannte auch die Jury der "Exposition Internationale de la Photographie et du Cinema" in Brüssel und vergab 1933 einen Preis an "Komol", eine Werbeaufnahme der Berliner Fotografinnen.
Ihre Zusammenarbeit ist jedoch nicht von langer Dauer und findet im Herbst 1933 ein schlagartiges Ende: Die Jüdinnen Grete Stern und Ellen Rosenberg (später Auerbach) trennen sich und verlassen Deutschland, Ringl emigriert zunächst nach London, Pit lässt sich in Tel Aviv nieder. "Es war ein Schnitt. (...) Wir waren traurig, für die ganze Situation dort, wir waren traurig, dass wir uns trennen mussten, wir hatten einige Jahre ein wunderbares Atelier angefangen."
Für Grete Stern schließt sich eine erfolgreiche Karriere an, vor allem in Buenos Aires, wo sie zahlreiche Porträts anfertigt und auch Fotomontagen gestaltet. Viele dieser Aufnahmen sind heute noch erhalten und so präsentiert sie in der Dokumentation von Antonia Lerch einige Arbeiten der Jahre 1930-1970. "Im Jahr 1982 habe ich aufgehört zu fotografieren. Es hat mich nicht mehr interessiert."
Ellen Auerbach, 1906-2004
"Ich glaube manchmal, dass die besten Bilder unbewusst entstehen. Irgendwas bringt dich zum Fotografieren und nachher wundert man sich, wie so etwas gelingen konnte.", versucht Pit ihre Arbeit in Worte zu fassen. Sie ist ebenfalls eine außergewöhnliche Fotografin der 20er und 30er Jahre und stellt als Dritte in der Dokumentation ihre Aufnahmen vor. Die ZuschauerInnen sehen ihr beim Frühstücken zu und erfahren von ihrer Kooperation mit Ringl (Grete Stern). Beeindruckende Zeugnisse dieser Berliner Atelier- und Wohngemeinschaft sind neben einigen KünstlerInnenporträts auch und vor allem die Sach- und Werbefotografien des Studios "ringl + pit". Durch Humor, Ironie und Provokation heben sie sich von den gängigen Reklamebildern der damaligen Zeit ab und werden unter anderem in Brüssel ausgezeichnet.
Ergänzend zur Fotografie experimentiert Ellen Rosenberg (später Auerbach) Anfang der 30er Jahre mit 16-mm-Bildstreifen und drehte einige Schwarz-Weiß-Kurzfilme, wie "Bertolt Brecht" oder "Gretchen hat Ausgang".
Ihren Weggang aus Deutschland und das Ende der Studioarbeit mit Pit kommentiert Ringl 1992: "Die Aussichten für uns erschienen mir einfach zu schlecht und zu entwürdigend, da wollte ich nicht bleiben. Das hat nichts damit zu tun, wie ich über Deutschland fühle, das war einfach eine Sache von Hitler." Und so emigriert die jüdische Avantgarde-Künstlerin 1933 nach Tel Aviv, lebt ein paar Jahre später in London mit Grete Stern und geht 1937 schließlich mit ihrem Ehemann Walter Auerbach in die Vereinigten Staaten. Hier verändert sich ihr Fotografierstil: Standen ihre Bilder der Berliner Jahre noch unter dem Einfluss der avantgardistischen Fotografie der 20er Jahre, gelingt Ellen Auerbach nun der fotografische Blick auf unspektakuläre Alltagssituationen. Mit dem ihr eigenen Gespür für Menschen und Situationen wandelt sie das vordergründig Sichtbare mit Hilfe der Kamera zu zeitlosen und poetischen Aufnahmen. Sie nennt dies ihr "drittes Auge", das im Verborgenen das Wesentliche zu entdecken vermag. "Ich habe ziemlich früh gemerkt, dass ich zu den Leuten gehöre, die was suchen. Ich hab gemerkt, dass es versteckt ist. Und wenn ich es irgendwo finde, dann bin ich sehr glücklich und in der Fotografie hat man verhältnismäßig viel Gelegenheit, davon etwas zu finden. Was das aber wirklich ist, weiß ich nicht genau."
AVIVA-Tipp: Antonia Lerch lässt die Fotografinnen in ihrer gewohnten Umgebung, dem eigenen Wohnzimmer in New York und Buenos Aires zu Wort kommen. So erhalten die ZuschauerInnen einen interessanten Einblick in die Gefühlswelt der "Drei Fotografinnen", erfahren von ihrem Umgang mit der Vergangenheit und der Rolle ihrer Arbeiten innerhalb der Geschichte der Fotografie. Drei völlig verschiedene Charaktere blicken auf ihr Lebenswerk und die Kamera fängt Emotionen wie Traurigkeit oder Stolz ein und macht es so möglich, auch zwischen den Zeilen zu lesen.
Drei Fotografinnen
Ilse Bing, Grete Stern, Ellen Auerbach
Deutschland, 2007
Regie: Antonia Lerch
Darstelerinnen: Ilse Bing, Grete Stern, Ellen Auerbach
Laufzeit: 165 Minuten, Tonformat: Dolby 1.0, Bildformat: 4:3
Sprache: Deutsch
Extras: Kapiteleinteilung, ausführliches Booklet, PDF mit Links und Buchtipps
Vertrieb: absolut MEDIEN
EAN: 978-3-89848-845-7
24,90 Euro
Die Filmseite im Netz:
http://absolutmedien.de/film-1214
Weiterlesen:
Drei große Fotografinnen der 20er und 30er Jahre
Weitere Infos:
www.exil-archiv.de
www.artnet.de
www.storms-galerie.de